Ich seh, ich seh, was du auch siehst?
Autor: ©Science Pool, Ben
Dezember 2020
Jede Sekunde prasseln 200 Millionen einzelne Lichtteilchen auf unsere Augen. Diese werden von unseren Rezeptoren aufgenommen, in Signale umgewandelt und an unser Gehirn weitergeleitet. Aber das ist nur der Anfang des Prozesses des Sehens oder der Wahrnehmung.
Gestaltwahrnehmung
Damit wir überhaupt erst etwas mit dieser Unmenge an Informationen anfangen können organisiert und vereinfacht unser Gehirn diese Signale. Das ist ein überlebenswichtiger Mechanismus, den man auch Gestaltwahrnehmung nennt. Überlebenswichtig deswegen, weil wir ohne ihn nicht zwischen Bäumen und einem darin versteckten Tiger unterscheiden könnten. Menschen, Tiere, Pflanzen und Gegenstände zu erkennen ist unbedingt notwendig und begleitet uns tagtäglich.
Fehlende Informationen
Nehmen wir an, du siehst einen regungslosen Tiger, der hinter einer Reihe von Bäumen steht, sodass du nur Teile des Tigers erkennen kannst. Obwohl die Gestalt des Tigers von Bäumen getrennt wird, nehmen wir ihn trotzdem als eine Gestalt war. Unser Gehirn geht nicht davon aus, dass der Tiger hinter den Bäumen „zerstückelt“ ist. Es hat die Eigenart fehlende Informationen quasi „einzusetzen“ und das ist ziemlich wichtig, damit wir Gefahren erkennen können, von denen wir nur begrenzte Informationen haben, wie zum Beispiel unseren teilweise versteckten Tiger.
So kann es auch sein, dss du enen Satz lesn knnst, dm wchtige Infrmtionen felen.
Genau wie du Teie ds Tgers ncht sehen knntest, du ihn jedch trdm erknnen knntest.
Aus genau diesem Grund kann man etwas sehr Interessantes machen. Wir können unserem Gehirn eine Gestalt vorgaukeln, die gar nicht existiert. Bei diesen Bildern unten solltest du Gestalten erkennen können, obwohl dort eigentlich „nichts“ ist. Nichts, außer einem rosaroten, gelben oder blauen Hintergrund.
Wolkenbilder
Vielleicht hast du schon einmal auf eine Wolke gesehen und hast dir schon einmal etwas Ähnliches gedacht wie: „Mhm, diese Wolke sieht aus, wie ein …!”. Manchmal entdecken wir am Himmel eine Wolke mit der Form eines anderen Dings oder Tiers. Kannst du den Wolkenelefanten rechts im Bild auch erkennen?
Rorschachtest
Diese Pareidotia machte man sich auch in der Psychologie zunutze. Rorschachbilder sind Tintenklecksbilder, die beim Rorschachtest eine zentrale Rolle spielen. Dieser Test geht auf den Psychologen Psychoanalytikers Hermann Rorschach (1884–1922) zurück. Die Person, die den Test ablegt versucht, die Tintenkleckse zu deuten. Diese Deutungen werden dann von einer Testleitung verwertet und die daraus gewonnen Daten sollen dann einen Einblick in die Psyche eines Menschen haben. Was kannst du denn in diesen Tintenklecksbildern unten erkennen?
Gesichtserkennung – das kannst du auch!
Der Mensch ist besonders gut darin Gesichter zu erkennen, um Emotionen von Gesichtern lesen zu können. Der Mensch kann nicht nur Gesichter gut erkennen. Er ist eine Gesichtserkennungsmaschine. Er kann Menschen durch Gesichtszuge voneinander unterscheiden und sogar Gefühle und schon die allerkleinsten Veränderungen der Mimik wie zum Beispiel ein Mundwinkelzucken kann mit Leichtigkeit wahrgenommen und interpretiert werden. Denn der Mensch lebt in einem sozialen Kontext und braucht diese Fähigkeit um in diesem Kontext überleben zu können.
Gesichter, die keine Gesichter sind
Da auch in unserem Alltag Gesichter so eine große Rolle spielen ist es besonders leicht ein Muster oder eine Form als Gesicht zu interpretieren. Es ist sehr, sehr leicht sogar, selbst, wenn es sich nicht einmal um ein Gesicht handelt, das wir sehen. Vielleicht hast du schon einmal in einem Ding oder Gegenstand ein Gesicht gesehen, das eigentlich kein Gesicht haben sollte. Das passiert nicht nur dir, sondern auch ganz vielen anderen Menschen auch.
Bäume in der Mythologie – ACHTUNG, nichts für schwache Nerven!
Das Erkennen von Gesichtern in leblosen Gegenständen passiert uns jedoch nicht nur bei Wolken oder bei Bildern der Marsoberfläche, sondern sehr oft hier auf der Erde. Oftmals sehen wir auf Bäumen einen Riss in der Rinde, eine Wucherung des Holzes oder ein Astloch und glauben darin ein Gesicht zu erkennen. Das passiert ganz häufig und seit Urzeiten schon allen Menschen, egal wo sie leben. Vielleicht ist das „Gesicht der Bäume“ auch einer der Gründe, warum Bäume in vielen Religionen eine so große Bedeutung haben und manche Mythologien den Bäumen auch ein Bewusstsein zuschreiben.
In der nordischen Mythologie ist der Weltenbaum Yggdrasil der erste Baum des Universums. Seine Äste erstrecken sich über alle 9 Welten: Asgard, Vanaheim, Ljossalfheim, Midgard, Jötunheim, Niflheim, Muspelheim, Svartalfheim und Helheim. In seiner Baumkrone sitzt der „namenlose Adler“ und seine Wurzeln reichen bis nach Jötunsheim, dem Land der Riesen und bis nach Nilfheim, wo Nidhöggr der Drache an ihnen knabbert.
In der griechischen Mythologie gibt es die Dyraden, Baumnymphen. Zu ihnen werden die Meliai, auf Deutsch die Meliaden, gezählt, das sind die Eschennymphen. Diese wurden von der Urgöttin Gaia durch einen Bluttropfen des Uranus (der Himmel in Göttergestalt) geboren. Die Meliai waren die „Babysitterinnen“ des später allmächtigen Göttervater Zeus. Sie lebten sehr lange, aber konnte die Bäume, die sie bewohnten nur kurz verlassen – sie waren mit ihren Bäumen verbunden. Verletzte man einen solchen Baum, so verletzte man auch die Dyrade. Starb ihr Baum, so folgte ihm seine Nymphe in den Tod.
Im alten Japan wurde oftmals die Geschichte der Kodama erzählt, den Baumseelen. Diese Naturgötter konnten, je nach Erzählung, sogar ihre Bäume in denen sie wohnten, verlassen und von Baum zu Baum wandern. Manchen Erzählungen nach sahen die Kodama nur so aus wie Bäume und konnten sich selbst verwurzeln so auch immer sie wollten. Wenn man sie gut behandelte konnte sie ein Segen sein, wenn man jedoch ihren Baum fällte so wurde man verflucht. Wenn man einen Baum fällte und durch das Umfallen des Baumes ein Echo entstand, so dachte man sich, dass dies der Schrei der Kodama war. Aus dieser Geschichte ist auch herauszulesen warum eines der Schriftzeichen (谺) der Baumgeister gleichzeitig Echo bedeuten kann.
Bild Mars: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Martian_face_viking.jpg/Viking 1, NASA, Public domain, via Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Face_on_Mars_with_Inset.jpg/NASA / JPL / University of Arizona, Public domain, via Wikimedia Commons
Bilder Rorschach: Hermann Rorschach, Public domain, via Wikimedia Commons „Hermann Rorschach“ (died 1922), Public domain, via Wikimedia Commons
Yggdrasil: From the 17th century Icelandic manuscript AM 738 4to, now in the care of the Árni Magnússon Institute in Iceland; Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=281937
Kodama: Toriyama Sekien, Public domain, via Wikimedia Commons